1. Navigation
  2. Inhalt
  3. Herausgeber

Entscheidungen

 

Entscheidungsansicht

SächsVerfGH, Beschluss vom 27. August 2015 - Vf. 54-IV-14
Begründete Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen zur Anordnung der Veröffentlichung einer Abbildung mit Namens- und Altersangabe einer Zeugin in einem Ermittlungsverfahren
Amtlicher Leitsatz: 1. Der Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist gegenüber dem Recht am eigenen Bild als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedenfalls in einem Fall eröffnet, der sein Gepräge durch eine Veröffentlichung zusammenhängender Bild- und Textinformationen in einem besonders sensiblen Kontext zur Ver-folgung staatlicher Zwecke erhält.

2. Für den Strafprozess begründet das staatliche Interesse an einer wirk-samen Strafverfolgung einen legitimen Zweck zur Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Nehmen die Strafverfol-gungsorgane zur Aufklärung von Straftaten dabei eine Person als Zeu-gen in Anspruch, fordern sie insoweit eine staatsbürgerliche Verpflich-tung ein; der Zeuge erfüllt eine staatliche Aufgabe. Ein Zeuge ist auch als Beweismittel nicht bloßes Objekt des Verfahrens. Eingriffe in das auch ihm zustehende Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss auch er ? wie jedermann ? nur hinnehmen, soweit diese auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen und sich in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit halten.

3. Eingriffe in Rechte Unverdächtiger sind nach dem Grundsatz der Ver-hältnismäßigkeit in besonderer Weise rechtfertigungsbedürftig. Die Ver-öffentlichung personenbezogener Daten im Rahmen einer Aufklärungs- und Identitätsfahndung ist dabei eine im Vergleich zu anderen Eingriffs-möglichkeiten besonders weitgehende Form des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, denn sie bewirkt die Weitergabe der betreffenden personenbezogenen Daten an einen unbestimmten und nicht überschaubaren Empfängerkreis ohne Verwendungsbe-schränkungen oder ergänzende verfahrensrechtliche Schutzvorkehrun-gen. Für das Gewicht der individuellen Beeinträchtigung durch einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist erheblich, inwieweit der Betroffene als Person ohne Weiteres und eindeutig identi-fizierbar ist, welche persönlichkeitsbezogenen Informationen erfasst werden, insbesondere welchen Grad an Persönlichkeitsrelevanz die be-troffenen Informationen je für sich und in ihrer Verknüpfung mit anderen aufweisen, und welche Nachteile dem Grundrechtsträger aufgrund der Maßnahmen drohen.

4. Das staatliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung bei der Aufklärung schwerster Delikte wie Mord kann nur in Ausnahmefällen ei-ne Veröffentlichung persönlicher Daten eines nicht beteiligten Zeugen rechtfertigen, die für diesen die Gefahr spürbarer beruflicher Nachteile in sich birgt; hierfür muss die Wahrscheinlichkeit weiterer Fahndungser-kenntnisse ? im Rahmen des Möglichen ? nachvollziehbar abgeschätzt werden, um mit dem Grad der Eingriffsintensität abgewogen werden zu können.
Links: vollständiger Text
Weitere Entscheidung(en): Beschluss vom 28. September 2015 - Festsetzung des Gegenstandswertes

 zurück