1. Navigation
  2. Inhalt
  3. Herausgeber

Entscheidungen

 

Entscheidungsansicht

SächsVerfGH, Urteil vom 15. November 2013 - Vf. 25-II-12
Mehrere Regelungen zur Ersatzschulfinanzierung sind verfassungswidrig und müssen bis zum 31. Dezember 2015 neu gefasst werden
Amtlicher Leitsatz: 1. Art. 102 Abs. 3 SächsVerf gewährleistet nicht nur die Freiheit zur Errichtung von Schulen in freier Trägerschaft, sondern enthält - insoweit nicht anders als Art. 7 Abs. 4 GG - auch die Verpflichtung des Staates, das private Ersatzschulwesen als Institution zu fördern und in seinem Bestand zu schützen. Der Staat muss aufgrund der Förderpflicht Leistungen erbringen, die sicherstellen, dass die Genehmigungsanforderungen des Art. 102 Abs. 3 Satz 3 und 4 SächsVerf durch die Ersatzschulen gleichzeitig und auf Dauer erfüllt werden können und dass auch Neugründungen praktisch möglich bleiben. Ersatzschulen muss es grundsätzlich möglich sein, die Bildungsaufgaben wahrzunehmen, die den verschiedenen öffentlichen Schulen gesetzlich zugewiesen sind.
2. Neben die Förderpflicht aus Art 102 Abs. 3 SächsVerf tritt - insoweit abweichend von Art. 7 Abs. 4 GG - ein Anspruch der Ersatzschulen auf einen finanziellen Ausgleich nach Maßgabe des Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf. Diese Vorschrift enthält eine Regelung über einen an Ersatzschulen zu leistenden Ausgleich, soweit sie ihren Schülern eine der Schul- und Lernmittelgeldfreiheit an öffentlichen Schulen (Art. 102 Abs. 4 Satz 1 SächsVerf) gleichartige Befreiung gewähren.
a) Der Sinn und Zweck des Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf besteht darin, es den Ersatzschulen durch einen finanziellen Ausgleich zu ermöglichen, ihren Schülern in gleicher Weise wie an öffentlichen Schulen Schul- und Lernmittelgeldfreiheit zu gewähren.
b) Der finanzielle Ausgleich muss der Höhe nach vollständig sein. Er muss sich also bei vollständiger Schul- und Lernmittelgeldfreiheit einer Ersatzschule an dem Betrag orientieren, den die Schule bei Ausschöpfung der durch das Sonderungsverbot vorgegebenen Grenze an Schul- und Lernmittelgeldern insgesamt erheben könnte. Eine Ersatzschule kann eine gleichartige Befreiung ohne vollständi-gen Verlust des Ausgleichsanspruchs auch teilweise gewähren.
c) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob der Anspruch aus Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf auch berufsbildenden Ersatz-schulen zusteht.
3. Weder aus Art. 102 Abs. 3 SächsVerf noch aus Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf folgt ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Förderung in bestimmtem Umfang bzw. in bestimmter Höhe. Vielmehr sind die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen mit einem Auftrag an den Gesetzgeber verbunden, die Ersatzschulfinanzierung gesetzlich auszugestalten. Dabei kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum zu.
a) Zur Erfüllung der Förderpflicht aus Art. 102 Abs. 3 SächsVerf kann der Gesetzgeber ein Fördermodell aus verschiedenen, ggf. typisierenden Unterstützungs- und Zuschusskomponenten vorsehen. Auch Sach- und Personalleistungen können die Förderpflicht erfüllen.
b) Dem Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben, nach welchem System die Kostensituation der Ersatzschulen bewertet wird, an der die Förderung auszurichten ist. Insbesondere aus Art. 102 Abs. 2 SächsVerf oder Art. 18 Abs. 1 SächsVerf ergibt sich keine Pflicht des Staates, öffentliche und private Schulen hinsichtlich der Finanzmittel pro Schüler gleich auszustatten.
c) Der Gesetzgeber kann bei der Bemessung der aufgrund der Förderpflicht erforderlichen Förderung die im Rahmen des Sonderungsverbots aus Art. 102 Abs. 3 Satz 3 SächsVerf zulässige Erhebung von Schul- und Lernmittelgeldern oder im Falle von Befreiungen bestehende Ausgleichsansprüche gemäß Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf berücksichtigen, aber auch sonstige Eigenleistungen des Schulträgers.
d) Die Sicherung der Wirksamkeit der in der Privatschulfreiheit enthaltenen Förderpflicht erfordert einen prozeduralen Grundrechtsschutz. Die Leistungen, die Ersatzschulen aufgrund der Förderpflicht mindestens zukommen müssen, insbesondere die Höhe der Mittel, die eine Ersatzschule zur dauerhaften Wahrung der Anforderungen aus Art. 102 Abs. 3 Satz 3 und 4 SächsVerf benötigt, sind in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren einzuschätzen. Alle wesentlichen Kostenfaktoren für die Bemessung des Mindest-bedarfs der Ersatzschulen müssen dabei berücksichtigt werden und ihrerseits entweder nach den ggf. typisierten Verhältnissen einer vergleichbaren öffentlichen Schule oder anders auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise bemessen werden.
e) Der Gesetzgeber muss die für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach aus Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf maßgebliche, seiner Einschätzung nach zutreffende Höhe der verfassungsrechtlich noch zulässigen Schul- und Lernmittelgelder, die eine Ersatzschule erheben könnte, entweder selbst auf transparenter Grundlage ausweisen oder aber der Verwaltung aufgeben, den entsprechenden Wert nach einem bestimmten, ebenfalls transparent auszugestaltenden Verfahren zu bemessen. Bei der konkreten Ausgestaltung des Ausgleichsanspruchs darf der Gesetzgeber auf Durchschnittswerte abstellen und Typisierungen vornehmen.
f) Von der gesonderten Regelung eines Ausgleichsanspruchs kann abgesehen werden, soweit die laufend zu zahlenden Zuschüsse nach den begründbaren Annahmen des Gesetzgebers so hoch sind, dass die Ersatzschulen die Genehmigungsanforderungen der Art. 102 Abs. 3 Satz 3 und 4 SächsVerf auch ohne die Erhebung von Schul- und Lernmittelgeldern dauerhaft erfüllen können.
4. Art. 102 Abs. 3 SächsVerf steht einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nicht entgegen, nach der einer Ersatzschule die staatliche Förderung erst nach Ablauf einer Wartefrist oder zuvor in geringerem Umfang gewährt wird. Eine Wartefrist ist mit der Förderpflicht aus Art. 102 Abs. 3 SächsVerf allerdings unvereinbar, wenn sie als faktische Errichtungs-sperre wirkt. Unabhängig davon besteht der Anspruch auf einen Aus-gleich gemäß Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf auch dann, wenn sich eine Ersatzschule noch innerhalb einer etwaigen Wartefrist befindet.
5. Der Gesetzgeber darf bestimmte Ersatzschulen im Verhältnis zueinander nicht ohne Weiteres bevorzugen, wenn sie sich - unter freiwilliger Aufgabe ihrer Selbstbestimmung - den Vorgaben für das öffentliche Schulsystem unterwerfen. Eine derartige staatliche Beeinflussung des Ersatzschulwesens ist mit der Privatschulfreiheit gemäß Art. 102 Abs. 3 SächsVerf in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 18 Abs. 1 SächsVerf nur dann vereinbar, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht und sich die Vorgaben im gebotenen Umfang halten.
Links: vollständiger Text
Weitere Entscheidung(en): Beschluss vom 22. Mai 2014 - Festsetzung des Gegenstandswertes
  Beschluss vom 26. Februar 2015, Entscheidung über Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss

 zurück