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2021

Bürgerinnen und Bürger können Klagen zum Sozialgericht nicht mehr zulässig über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) einreichen, wenn eine Authentifizierung z.B. über DE-Mail fehlt.

Das EGVP ist eine Kommunikationsinfrastruktur, mit der seit 2004 an die teilnehmenden Gerichte und Behörden elektronische Dokumente und Akten übermittelt werden können. Seit 2016 gibt es zusätzlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), seit 2018 auch das besondere Behördenpostfach (beBPo).

§ 65a SGG und die inhaltsgleichen Vorschriften anderer Verfahrensordnungen (§ 130a ZPO, § 46c ArbGG, § 55a VwGO und § 52a FGO) legen seit dem 1.1.2018 fest, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein muss (1. Möglichkeit) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (2. Möglichkeit). Letztere sind für Bürger*innen der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt. Sichere Versandwege sind für Anwält*innen und Behörden auch das beA und das beBPo.

In dem von der 15. Kammer des Sozialgerichts entschiedenen Fall reichte der Kläger am 13.9.2021 über das EGVP eine Klage ein, die diesen Voraussetzungen nicht genügte. Sie war weder von ihm qualifiziert elektronisch signiert oder über ein De-Mail-Konto gesendet worden, noch verfügt der Kläger über beA oder beBPo. Obwohl der Kläger hierauf hingewiesen wurde, beharrte er darauf, dass eine einfache Mail genügen müsse. Deswegen wies die 15. Kammer die Klage als unzulässig ab.

Aktenzeichen des Sozialgerichts Dresden: S 15 SV 48/21

Personen, die Leistungen nach dem SGB II (sogenanntes Hartz IV) erhalten, dürfen bei endgültigen Leistungsfestsetzungen ihre Klagen gegen Bescheide nicht auf einzelne für sie günstige Monate beschränken. Dies hat das Sozialgericht Dresden mit Urteil vom 30.11.2021 entschieden.

Hilfebedürftige mit monatlich schwankendem Einkommen erhalten vom Jobcenter regelmäßig zunächst vorläufig Grundsicherungsleistungen bewilligt. Grundlage hierfür ist § 41a SGB II, der dazu dienen soll, langwierige Einkommensermittlungen zu vermeiden und den Hilfebedürftigen schnell das soziokulturelle Existenzminimum zu gewähren. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes werden die Leistungsansprüche dann anhand der tatsächlich erzielten Einkünfte ermittelt. Diese Ermittlung kann dazu führen, dass die Leistungsbezieher*innen für einzelne Monate Nachzahlungen erhalten, für einzelne Monate Leistungen zu erstatten haben. § 41a Abs. 6 SGB II sieht hierfür eine Saldierung vor, so dass nach Verrechnung der Erstattungen mit Nachzahlungen entweder eine Nachzahlung bleibt oder ein bestimmter Betrag zu erstatten ist.

In der Vergangenheit kam es häufiger dazu, dass dann, wenn das Jobcenter z.B. das Einkommen falsch berechnet hatte, nur Rechtsmittel gegen die Monate eingelegt wurden, für die die Korrektur der Einkommensberechnung eine Nachzahlung brachte. Diesem Vorgehen hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Dresden nunmehr eine Absage erteilt. § 41a SGB II weicht vom Monatsprinzip des SGB II ab, so dass in die Saldierung gemäß § 41a Abs. 6 SGB II immer alle Monate des Bewilligungszeitraumes einzubeziehen sind. Die vom Gesetz vorgesehene Saldierung können die Betroffenen gerade nicht dadurch umgehen, dass sie – wie bei der "Rosinenpickerei" - einzelne Monate auswählen, gegen die dann gezielt Rechtsmittel eingelegt werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass alle Monate des Bewilligungszeitraums berechnet und im Ergebnis Nachzahlungen und Erstattungen verrechnet werden.

Gegen das Urteil kann der Kläger die vom Gericht zugelassene Berufung einlegen.

Aktenzeichen: S 10 AS 1144/19

Das Sozialgericht Dresden hat mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2021 entschieden, dass ein Arbeitsunfall als sogenannter Wegeunfall vorliegt, wenn ein versicherter Arbeitnehmer auf dem unmittelbaren Heimweg von seiner Arbeitsstätte mit einem Hund kollidiert, der unvermittelt auf die Fahrbahn springt und er dabei einen Schock erleidet.

Im konkreten Fall war der Kläger nach der Kollision mit dem Hund von den Freunden des Hundehalters massiv bedrängt und angegriffen worden sowie sein Auto beschädigt worden. Die Angriffe setzen sich fort, nachdem er den Arbeitsweg verlassen und bei einer nahegelegenen Tankstelle Schutz gesucht hatte. Nach den gutachterlichen Feststellungen eines Psychologen leidet der Kläger seitdem an Ängsten und anderen psychischen Störungen, die auf den Unfall und die spätere Bedrohung zurückzuführen seien.

Das Gericht war im Gegensatz zur beklagten Berufsgenossenschaft der Ansicht, dass der unfallversicherungsrechtliche Schutz durch das Verlassen des unmittelbaren Weges und das Aufsuchen der Tankstelle nicht entfallen sei. Denn auch diese eingeschobene Verrichtung habe in einem inneren Zusammenhang mit dem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Heimweg gestanden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger weiterhin bedroht worden; er habe Schutz gesucht und die Polizei verständigen wollen, um den Heimweg überhaupt fortsetzen zu können.

Gegen den Gerichtsbescheid kann die Beklagte das Rechtsmittel der Berufung einlegen.

Aktenzeichen: S 5 U 232/20

Das Sozialgericht Dresden hat mit Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2021 entschieden, dass eine dauerhaft kahlköpfige Frau von der Krankenkasse auch die Versorgung mit einer Echthaarperücke verlangen darf, wenn sich dies langfristig als die kostengünstigste Variante darstellt.

Im konkreten Fall leidet die Klägerin an Alopezia totalis (kompletter Haarverlust am Kopf). Seit Jahren entscheidet sich die Klägerin jeweils für die Versorgung mit einer kurzen bis mittellangen Echthaarperücke, während die Krankenkasse nur den Vertragspreis für eine günstigere Kunsthaarperücke erstattet. Die Krankenkasse vertritt insoweit die Meinung, dass Kunsthaarperücken ausreichend seien und insbesondere auch auf den ersten Blick nicht von Echthaarversorgung unterschieden werden könnten. Die Vertragspreise werden mit den Hilfsmittellieferanten für eine Standardversorgung ausgehandelt.

Dies sah das Gericht im Ergebnis und nach Anhörung eines auf Perücken spezialisierten Friseurmeisters anders: Es könne letztlich offenbleiben, ob Kunsthaarperücken immer optisch ausreichend seien, um den Verlust des natürlichen Haupthaares für eine unbefangene Beobachter*in zu kaschieren. Jedenfalls sei die Versorgung hier wirtschaftlich gewesen, denn die gewählten Echthaarperücken könnten deutlich länger genutzt werden, bevor sie unansehnlich würden und ausgetauscht werden müssten. Im Fall der Klägerin sei die Echthaarperücke zwar knapp 50 % teurer gewesen, habe jedoch auch doppelt so lange gehalten, bevor eine Neuversorgung erfolgen musste.

Das Sozialgericht Dresden hat sich allerdings ausdrücklich nicht zu den weitaus häufigeren Fällen der vorübergehenden Haarlosigkeit bei Frauen (zB durch die Folgen einer Chemotherapie) positioniert. Hier werden von den Sozialgerichten in Deutschland unterschiedliche Auffassungen vertreten. Betroffene Frauen sollten sich vor dem Erwerb einer Perücke mit ihrer Krankenkasse in Verbindung setzen.

Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.

Aktenzeichen: S 18 KR 304/18

Das Sozialgericht Dresden hat mit Beschluss vom 1. März 2021 entschieden, dass Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (sog «Hartz IV») vom Jobcenter keine zusätzlichen Zahlungen für den Erwerb von FFP2-Masken verlangen dürfen.

Nachdem Mitte Februar 2021 eine Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe durch die Medien ging, wonach Hartz IV-Empfängern ein um kalendermonatlich 129,- € höheres Arbeitslosengeld II zur Deckung des Mehrbedarfs für Masken zu gewähren sei, sind auch beim Sozialgericht Dresden einige Eilanträge dieser Art eingegangen.

Nun hat die 29. Kammer entschieden, dass das einstweilige Rechtsschutzbegehren ohne Erfolg bleibt. Der alleinstehende und nicht erwerbstätige Antragsteller hatte geltend gemacht, dass er mindestens einen besonderen Bedarf an monatlich zwölf FFP2-Masken habe, die das Jobcenter zu zahlen habe. Das sah das Gericht anders. Die entscheidende Rechtsgrundlage für den Anspruch sei hier § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II. Danach werde bei Leis-tungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht. Dieser sei aber weder glaubhaft ge-macht, noch sei eine besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Nach § 2 der Coronavirus-Schutzmaskenverordnung habe der Antragsteller bereits Anspruch auf 10 kostenlose FFP2-Masken, die er in der Apotheke abholen könne. Eine absolute Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken bestehe nach § 3 Abs. 1b der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 12.02.2021 nur in wenigen Situationen, die für den erwerbslosen Antragsteller allerdings nicht relevant seien (zB für Mitarbeiter_innen der ambulanten Pflege). In allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens reichten nach der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 12.02.2021 weiterhin Alltagsmasken bzw. - insbesondere im Nahverkehr, beim Einkaufen und in Arztpraxen und Krankenhäusern - OP-Masken aus, die der Antragsteller günstig im Discounter kaufen könne. Diese böten bei korrekter Anwendung einen ausreichenden Fremd- und hinreichenden Eigenschutz. Hierfür seien die Hartz-IV Zahlungen, die der Antragsteller bereits erhalte, auskömmlich.

Der Beschluss des Gerichts ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: S 29 AS 289/21 ER

Das Sozialgericht Dresden hat mit Urteil vom 09.12.2020, Az.: S 25 KR 328/17, entschieden, dass die Krankenkasse von einem Arbeitnehmer keine freiwilligen Versicherungsbeiträge nachfordern darf, wenn diese zunächst vom Arbeitgeber gezahlt, aber in einem anschließenden Insolvenzverfahren von der Krankenkasse an die Insolvenzmasse zurückerstattet worden waren.

Arbeitnehmer*innen, die wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind, können sich in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichern, müssen dann aber die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung selbst bezahlen. In der Praxis ist es jedoch häufig so, dass Arbeitnehmer*innen mit Arbeitgeber*innnen eine Vereinbarung treffen, dass die Beiträge direkt vom Lohn einbehalten und an die Krankenversicherung weitergeleitet werden (sog. Firmenzahlerverfahren).

Fällt die Firma indessen in die Insolvenz, besteht das Risiko, dass der Insolvenzverwalter - wie auch im entschiedenen Fall - die Zahlungen an die Krankenkasse erfolgreich anficht und zurückfordert. Es stellt sich dann die Frage, ob der Arbeitnehmer, dem die Beiträge bereits vom Lohn abgezogen worden waren, zur erneuten Zahlung an die Krankenkasse verpflichtet ist.

Dies hat das Sozialgericht Dresden hier verneint. Es hält im Gegensatz zur zivilgerichtlichen Rechtsprechung und ausdrücklich entgegen der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs schon die Anfechtung für unwirksam, weil keine Gläubigerbenachteiligung vorliege. Wenn der Arbeitgeber nicht an die Krankenkasse gezahlt hätte, hätte er dem Arbeitnehmer diesen Lohnbestandteil ohne die Möglichkeit der Anfechtung im Insolvenzverfahren auszahlen müssen. Außerdem scheide eine Nachforderung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus, denn die Krankenkasse habe es versäumt, den Arbeitnehmer über das Risiko einer nochmaligen Beitragsbelastung im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers ausdrücklich hinzuweisen. Es verstoße auch gegen Treu und Glauben, wenn die Krankenkasse aus der eigenen Mitwirkung an einer unter Strafandrohung stehenden Gläubigerbegünstigung Ansprüche gegen einen gutgläubigen Versicherten herleite.

Gegen das Urteil kann die Krankenkasse Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht in Chemnitz einlegen.

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