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2020

Urteil zu Mietkostendeckelung bei Grundsicherung in Leipzig: Jobcenter muss für Einpersonenhaushalte nicht 269,57 €, sondern bis zu 386,10 € als angemessene Bruttokaltmiete berücksichtigen.
 

Urteil zu Mietkostendeckelung bei Grundsicherung in Leipzig: Jobcenter muss für Einpersonenhaushalte nicht 269,57 €, sondern bis zu 386,10 € als angemessene Bruttokaltmiete berücksichtigen.

Die Deckelung der Unterkunftskosten für Einpersonenhaushalte auf monatlich 269,57 € im Jahr 2016 ist unwirksam. Das Sozialgericht Leipzig hat durch Urteil seiner 17. Kammer entschieden, dass bis zu 386,10 € monatliche Bruttokaltmiete noch als angemessener Unterkunftsbedarf gelten. Das Jobcenter Leipzig muss der Klägerin nun insgesamt fast 700,- € Unterkunftskosten für das zweite Halbjahr 2016 nachzahlen.

Die alleinstehende Klägerin wohnt im Südosten Leipzigs in einer Mietwohnung mit 55 Quadratmeter Wohnfläche. Sie war auf Grundsicherung nach dem SGB II angewiesen. In 2016 hatte sie monatliche Unterkunftskosten durch unstreitige Heizkosten und 337,21 € Bruttokaltmiete. Das Jobcenter Leipzig beanstandete die Bruttokaltmiete als unangemessen hoch und forderte eine Kostensenkung auf maximal 269,57 €. Ab Juli 2016 zahlte das Jobcenter nur noch diesen Betrag, der durch eine Richtlinie der Stadt  Leipzig aus dem Jahr 2014 vorgegeben ist. Die Klägerin brachte seither monatlich ca. 116,- € ihrer Wohnkosten aus abgesparten eigenen Mitteln auf. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob sie Klage und brachte vor, in Leipzig gebe es in den Angemessenheitsgrenzen aus der städtischen Richtlinie nicht genug Wohnungen für alle einkommensschwachen Einpersonenhaushalte. Die vorgegebene Mietobergrenze sei deshalb nicht plausibel zu begründen. Deshalb sei ihre Wohnung angemessen und keine Kostensenkung zu verlangen.

Dieser Argumentation ist die 17. Kammer des Sozialgerichts Leipzig mit Urteil vom 25. November 2020 gefolgt. Die am 18.12.2014 beschlossene Richtlinie der Stadt Leipzig stelle als Referenzwert für angemessene Unter- kunftskosten bei Grundsicherung lediglich auf den Bruttokaltmietzins des billigsten Drittels der Wohnungen ab. Nach dem Monitoringbericht Wohnen 2016/2017 und dem Wohnungspolitischen Konzept der Stadt Leipzig, Fortschreibung 2015, seien aber bis zu ca. 39.000 Einpersonenhaushalte in Leipzig einkommensschwach und damit Nachfrager für preisgünstigen Wohnraum, während das billigste Drittel der Ein- und Zweiraumwohnungen in Leipzig nur ca. 16.000 Wohnungen umfasst habe. Damit sei eine Versorgung der Nachfragehaushalte offensichtlich nicht möglich und deren Ausweichen auf höherpreisige Wohnungen unvermeidbar. Mangels einer nachvollziehbaren Festlegung durch die Stadt Leipzig seien Wohnkosten in 2016 erst bei Überschreitung des nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigungsfähigen Betrags plus 10 Prozent Sicherheitszuschlag – in Leipzig damit eine Bruttokaltmiete von 386,10 € - für Grundsicherungsempfänger unangemessen teuer.

Das Urteil, Aktenzeichen S 17 AS 2667/16, ist nicht rechtskräftig.

Hintergrund: Gemäß § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für erwerbsfähige Bedürftige durch das Jobcenter als Bedarf im Rahmen der Grundsicherung zu berücksichtigen (sogenannte «KdU»), allerdings nur, «soweit diese angemessen sind."» Welche KdU angemessen sind, ist im SGB II selbst nicht festgelegt. Das Gesetz beschreibt in §§ 22a bis 22c SGB II nur, nach welchen Kriterien und Methoden die kommunalen Träger der Jobcenter den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit konkretisieren können. Der Angemessenheitswert soll realitätsgerecht «die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden.» Sofern die kommunalen Träger der Jobcenter den in ihren Bescheiden angesetzten Wert nicht nachvollziehbar (durch ein «schlüssiges Konzept») herleiten, kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rechtsstreit über die Angemessenheit der Unterkunftskosten hilfsweise auf die nach dem Wohngeldgesetz berücksichtigungsfähigen Beträge zuzüglich eines Sicherheitszuschlages zurückgegriffen werden. Zur Höhe angemessener KdU sind zahlreiche weitere Verfahren am Sozialgericht Leipzig anhängig.

Reisekosten auch für Radfahrer
Sozialgericht Leipzig verpflichtet Jobcenter zu Neuregelung bei Meldeterminen
Duschkosten nach Fahrradfahrt bleiben unberücksichtigt
 

Fahrtkostenerstattung für die Wahrnehmung von Meldeterminen beim Jobcenter Leipzig steht grundsätzlich auch Fahrradfahrern zu. Nur zur Höhe der Erstattung hat das Jobcenter einen Ermessensspielraum, wie das Sozialgericht Leipzig mit rechtskräftigem Urteil vom 18. März 2020 entschied.

Das beklagte Jobcenter Leipzig hatte den Kläger zu Meldeterminen bestellt. Der Kläger reiste nicht mit Kraftfahrzeug oder öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern mit seinem betagten Fahrrad an und beantragte hierfür Reisekostenerstattung. Das Jobcenter lehnte ab. Eine Gleichbehandlung der Radfahrer mit Nutzern von Kraftfahrzeugen oder ÖPNV sei nicht geboten. Bezifferbare Kosten seien dem Kläger durch seine Fahrten mit dem Fahrrad nicht entstanden oder jedenfalls vernachlässigbar gering. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Die 17. Kammer des Sozialgerichts Leipzig befand, dass auch geringe Kosten das Existenzminimum für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) berührten. Deshalb dürfe das beklagte Jobcenter ihre Berücksichtigung weder gänzlich ausschließen noch Bagatellgrenzen aus den Verwaltungsvorschriften zum Bundesreisekostengesetz übernehmen.

Welche konkreten Kosten des Fahrradfahrens zu einem Meldetermin aber zu erstatten sind, überlässt das Urteil der 17. Kammer dem Ermessen des Jobcenters Leipzig. Der Kläger habe allerdings keinen Anspruch auf gleiche Kostenerstattung wie für Nutzer eines Kraftfahrzeugs. Außerdem seien nur die unmittelbar mit der Reise verbundenen Kosten zu berücksichtigen. Aufwendungen für wetterfeste Kleidung, erhöhte Nahrungsaufnahme oder Duschen nach der Fahrradfahrt gehörten dazu nicht. Sie seien der individuellen Lebensführung des Klägers zuzuschreiben.

Hintergrund: Gemäß § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) können die notwendigen Reisekosten aus Anlass einer Meldung auf Antrag übernommen werden. Das beklagte Jobcenter hat zur Ausübung des durch die gesetzliche Regelung eröffneten Ermessens eine Verwaltungsvorschrift erlassen, die zu einer Selbstbindung der Verwaltung führt. Ermessensentscheidungen der Sozialleistungsträger sind durch die Sozialgerichte nur eingeschränkt nachprüfbar. Das Aktenzeichen des Urteils vom 18.03.2020 lautet S 17 AS 405/19.

Sitzungsbetrieb im Sozialgericht Leipzig hinter Plexiglas Rechtsantragstelle nach telefonischer Terminvereinbarung dienstags und donnerstags offen
Der öffentliche Sitzungsbetrieb im Sozialgericht Leipzig läuft nach Anpassung an die pandemische Situation mit einem erweiterten Hygienekonzept vom 20. Mai 2020 wieder an.

Sitzungsbetrieb im Sozialgericht Leipzig hinter Plexiglas Rechtsantragstelle nach telefonischer Terminvereinbarung dienstags und donnerstags offen

Der öffentliche Sitzungsbetrieb im Sozialgericht Leipzig läuft nach Anpassung an die pandemische Situation mit einem erweiterten Hygienekonzept vom 20. Mai 2020 wieder an. Sitzungssäle des Sozialgerichts Leipzig sind dazu mit Plexiglasscheiben zwischen Richterbank und Beteiligten ausgestattet worden. Der Abstand der Beteiligtenbänke wurde erhöht und die Zahl der Besucherplätze verringert. Am Ende jedes Sitzungstages werden die Säle durch Gerichtspersonal desinfiziert. Zusätzlich sind die Säle mit Desinfektionsspray und Papiertüchern für die Bedarfsreinigung der Oberflächen durch die Beteiligten ausgestattet.

Der Zutritt zum Gerichtsgebäude ist ausschließlich mit Mund-Nase-Gesichtsbedeckung zulässig. Alle gerichtsfremden Personen einschließlich der Prozessbevollmächtigten haben – vorzugsweise mit eigenem Schreibgerät – eine Besucherkarteikarte auszufüllen und an der Pforte abzugeben. Mögliche Infektionswege sollen damit ggf. nachvollzogen und etwaige Betroffene informiert werden können.

Der Präsident des Sozialgerichts Leipzig Michael Pies bittet Rechtssuchende weiterhin um möglichst schriftliche Antragstellung. In den allermeisten Fällen wird eine schriftliche Formulierung der Anliegen gelingen und ein persönlicher Besuch beim Sozialgericht damit entbehrlich sein. Persönliche Vorsprache in der Rechtsantragstelle ist nur nach vorheriger Terminvergabe durch die Pfortenmitarbeiter dienstags und donnerstags möglich. Gleiches gilt für die Wahrnehmung von Akteneinsicht. Die Kontaktdaten mit näheren Einzelheiten sind im Internetauftritt des Sozialgerichts Leipzig (https://www.justiz.sachsen.de/sgl/) veröffentlicht. Die Bibliothek des Sozialgerichts Leipzig bleibt für gerichtsfremde Personen weiterhin geschlossen.

Bislang ist lediglich bei einer Bediensteten des Sozialgerichts Leipzig eine Corona-Erkrankung aufgetreten und inzwischen ausgeheilt. Weitere Erkrankungen oder Verdachtsfälle liegen nicht vor. Die zu Beginn der Pandemie des Coronavirus SARS—CoV-2 im Einvernehmen mit dem Personal- und Richterrat getroffenen strengen Kontaktbeschränkungen waren damit erfolgreich.

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