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2022

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Chemnitz hat mit Beschluss vom 27.10.2022 einen Eilantrag eines Rechtsreferendars und eines Rechtsanwalts abgelehnt, mit dem sie erreichen wollten, dass der Referendar seine praktische Ausbildung zum 01.11.2022 bei dem Rechtsanwalt beginnen kann und die Zuweisung durch den Freistaat Sachsen, vertreten durch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden an einen anderen Rechtsanwalt hinfällig wird.

Der Antragsteller zu 1 absolviert beim Freistaat Sachsen seinen Juristischen Vorbereitungsdienst mit der Stammdienststelle am Landgericht Chemnitz, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Freistaats Sachsen ihn nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde vorläufig hierzu zugelassen hatte. Der Antragsteller zu 2 ist Rechtsanwalt mit Kanzlei in Chemnitz, Vorsitzender der "Freien Sachsen" und Vorsitzender der Ratsfraktion "PRO CHEMNITZ/Freie Sachsen" im Stadtrat von Chemnitz. Zum 01.11.2022 begann die neun Monate dauernde Rechtsanwaltsstation, die der Antragsteller zu 1 beim Antragsteller zu 2 ableisten will.

In seiner Entscheidung zur Zulassung des Antragstellers zu 1 zum Juristischen Vorbereitungsdienst führte der Freistaat Sachsen, dass dieser für die Ausbildung in der Rechtsanwaltsstation einem vom OLG ausgewählten Ausbilder zugewiesen werde, falls ein von ihm ausgewählter Ausbilder aus Sicht des OLG weniger geeignet erscheint. In dieser Zulassungsentscheidung führte der Freistaat Sachsen u.a. auch aus, dass es für einen Rechtsreferendar mit dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis als unvereinbar angesehen werde, wenn er innerhalb der Partei "Der III. Weg" politische Ämter übernehme, für diese Versammlungen anmelde oder als Redner auftrete.  Am 27.09.2022 hat das OLG Dresden den Antrag des Antragstellers zu 1 auf Zuweisung zum Antragsteller zu 2 abgelehnt, den Antragsteller zu 1 einem anderen Rechtsanwalt zugewiesen und diesen Bescheid für sofort vollziehbar erklärt. Das OLG verwies darauf, dass der Antragsteller zu 2 weniger geeignet sei als Rechtsanwalt, dem der Antragsteller zu 1 zugewiesen wurde, weil dieser allgemein bekannt "Akteur der rechtsextremen Szene in Chemnitz" sei. Zudem sei die Partei "Freie Sachsen" vom Sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden und sie werde bundesweit vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. Ein hiergegen erhobener Widerspruch blieb erfolglos.

Am 26.10.2022 haben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Chemnitz erhoben und zugleich um vorläufigen und einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und den Freistaat Sachsen zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 vorläufig dem Antragsteller zu 2 zur Ausbildung im Rahmen der Rechtsanwaltsstation zuzuweisen. Sie führten zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller zu 2 nicht ungeeignet sei und dessen politische Tätigkeit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit nicht von Bedeutung sei. Soweit seine politische Tätigkeit herangezogen werde, um eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu begründen, verstoße das gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz, der eine politische Diskriminierung untersage. Eine fachliche Ungeeignetheit sei ebenfalls nicht gegeben. Der Antragsgegner lasse sich allein von politischen und damit sachfremden Erwägungen leiten. Der Antragsteller zu 1 verfüge über ein Ausbildungsgestaltungsrecht, das durch die Entscheidung des Antragsgegners nicht unerheblich beeinträchtigt werde. Es stelle eine unzulässige politische Diskriminierung und fachliche Herabsetzung dar, wenn die zwischen dem Referendar und dem Anwalt vereinbarte Übernahme der Ausbildung untersagt werde.   

Der Eilantrag bleib ohne Erfolg.

Nach der vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zuweisungsentscheidung an einen anderen Rechtsanwalt als den Antragsteller zu 2. Bei der Frage des "weniger geeignet" geht es nicht darum, dass der Antragsteller zu 2 fachlich weniger geeignet sei. Es geht darum, dass und wie im Juristischen Vorbereitungsdienst des Antragstellers zu 1 die "Funktionsfähigkeit der Rechtspflege" abgesichert werden kann. Hierfür dient die Auflage, dass der Antragsteller zu 1 für die praktische Ausbildung in der Rechtsanwaltsstation einem anderen Rechtsanwalt zugewiesen wird, wenn der von ihm ausgewählte Rechtsanwalt aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege weniger geeignet erscheint.

Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege setzt voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert, was auch die Justiz als die für den Juristischen Vorbereitungsdienst verantwortliche Stelle einschließt. Dieses Vertrauen kann durch eine Vielzahl von Umständen gestärkt oder beeinträchtigt werden, wobei dem Staat die Aufgabe der Optimierung zukommt.

Der Antragsteller zu 2 ist für die Partei "Freie Sachsen" aktiv, welche vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet wird. Daher bestehen hinsichtlich der Verfassungstreue des Antragstellers zu 2 Bedenken.

Auch hinsichtlich der Verfassungstreue des Antragstellers zu 1 bestehen Bedenken, weshalb er infolge der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Freistaats Sachsen zum Juristischen Vorbereitungsdienst nur unter Auflagen zugelassen wurde. Eine dieser Auflagen sei eine entsprechende Auswahl der jeweiligen Ausbildungsstation, soweit diese nicht vom Antragsteller wählbar ist. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Referendar bei der Rechtsanwaltsstation seinen auszubildenden Rechtsanwalt selbst auswählt. Die Justiz gestaltet insoweit nicht das "Was und Wie der Ausbildung". Hierauf hat sie keinen Einfluss. Die Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes und die Sicherung der Funktion der Rechtspflege sind daher bereits bei der Frage der Zuweisung an einen bestimmten Rechtsanwalt zu berücksichtigen.

Aufgrund dieser Bedenken hinsichtlich der Verfassungstreue der Antragsteller würden Umstände geschaffen, die das gesellschaftliche Vertrauen in die Justiz beeinträchtigen können, wenn ein Referendar einem Rechtsanwalt zur Ausbildung zugewiesen würde, ohne dass die Möglichkeit einer "Reglementierung" besteht. Daher erscheint die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller zu 1 einem anderen Rechtsanwalt als den Antragsteller zu 2 zuzuweisen, nicht als offensichtlich falsch.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Antragsteller haben Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. Das Hauptsacheverfahren ist weiterhin am Verwaltungsgericht Chemnitz anhängig.

(Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschluss vom 27.10.2022 – 3 L 455/22)

Peter Franke
Pressesprecher

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Chemnitz hat mit ersten Beschlüssen vom 23. Februar 2022 mehrere Eilanträge abgelehnt, mit denen begehrt wurde, dass die Stadt Chemnitz den Antragstellern Genesenennachweise nach einer überstandenen Corona-Infektion für die Dauer von 6 Monaten ausstellt.

Die Antragsteller waren jeweils im November 2021 mittels PCR-Untersuchung nachgewiesen mit dem Erreger SARS-CoV-2 (Corona) infiziert. Die Stadt Chemnitz stellte ihnen jeweils eine Bescheinigung über die Bestätigung der häuslichen Absonderung aus. Diese Bescheinigung enthielt den Zusatz, dass diese Bestätigung frühestens 28 Tage nach Testdatum und längstens sechs Monate nach Testung als Genesenenausweis verwendet werden kann. Aufgrund der am 14. Januar 2022 geänderten "Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19" (Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung - SchAusnahmV) ist der Genesenenstatus nunmehr auf 90 Tage verkürzt. Das ergibt sich aus der Neuregelung in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV, in der auf entsprechende Festlegungen auf der Internetseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) verwiesen wird.

Die Eilanträge bleiben erfolglos.

Die Antragsteller haben keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erteilung der begehrten Bescheinigungen. Dieser Anspruch ergibt sich weder aus der Sächsischen Corona-Notfall-Verordnung in Verbindung mit der dort in Bezug genommenen Regelung in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV. Auch aus den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes oder europarechtlichen Bestimmungen (VO (EU) 2021/953), die die Ausstellung von digitalen COVID-Zertifikaten in der Europäischen Union betreffe, kann ein solcher Anspruch nicht hergeleitet werden. Nach den geltenden Regelungen ist eine Genesenenbescheinigung - nur - das in verkörperter oder digitaler Form vorliegende, personalisierte, positive Testergebnis als solches anzusehen, soweit der Test den in der Verordnung genannten Anforderungen entspricht. Ein solcher wurde von der Antragsgegnerin erteilt.

Auch wenn die Antragsteller begehrt hätten, dass die Dauer ihres Genesenenstatus sechs Monate beträgt und keine Verkürzung auf 90 Tage durch § 2 Abs. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 erfahren hat, blieben die Anträge ohne Erfolg.

Die Antragsteller haben jeweils nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen bei Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden. Die Kammer sieht die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Ablehnung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur einrichtungsbezogenen Impfplicht vom 10. Februar 2022 – 1 BvR 2649/21 –) als offen an. Die deshalb durchzuführende Folgenabwägung fällt jeweils zu Lasten der Antragsteller aus. Zwar unterliegen sie grundrechtsrelevanten Einschränkungen. Aber unter Beachtung der seit dem 23. Februar 2022 geltenden und der für den 4. März 2022 in Aussicht gestellten Lockerungen in der Sächsischen Corona-Notfall-Verordnung, der Ankündigung der Aufhebung fast aller Corona-Schutzmaßnahmen zum 20. März 2022 und mangels hinreichenden konkreten Vortrags der Antragsteller erkannte die Kammer keinen schlechthin unzumutbaren Nachteil für die Antragsteller.

Dessen ungeachtet überwiegen die Gefahren, die mit einer ggf. unzureichenden Immunisierung, der damit verbundenen potentiell erhöhten Transmission – insbesondere der sich ausbreitenden und hoch ansteckenden Omikron-Variante – von ihr für die Gesundheit Dritter und den allgemeinen Infektionsschutz einhergehen.

Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Den Antragstellern steht jeweils die Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht binnen zwei Wochen ab Zustellung der Entscheidung zu.

(Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschlüsse vom 23.02.2022 – 4 L 51/22 und 4 L 52/22)

Peter Franke
Pressesprecher

Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Chemnitz hat mit Beschluss vom 22. Februar 2022 im Wege einer einstweiligen Anordnung die Stadt Chemnitz dazu verpflichtet, den Bürger- und Kulturverein Chemnitz Süd-Ost e.V. als Träger der Bürgerplattform Chemnitz Süd-Ost zu respektieren und dieser einen Personalkosten- und Sachkostenzuschuss sowie ein Bürgerbudget in Höhe von reichlich 47.000 Euro für das laufende Jahr zu bewilligen. Der Stadtrat hatte im November 2021 ohne Angabe von Gründen die Trägerschaft des Bürger- und Kulturvereins Chemnitz Süd-Ost nicht anerkannt. Die Stadtverwaltung hatte daraufhin die Bewilligung der Fördermittel abgelehnt.

Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber u.a. unter Hinweis auf Beschlüsse des Europarats das Recht der Bürgerplattform auf freie Auswahl ihres Trägers betont. Auch in der Hauptsatzung der Stadt findet sich keine Grundlage für ein Recht des Stadtrats, über den Träger einer Bürgerplattform entscheiden zu können. Die im November 2021 beschlossene Förderrichtlinie der Stadt, die ein solches Recht des Stadtrats vorsieht, kann für das Jahr 2022 noch nicht gelten, weil sie für Förderanträge als Stichtag den 30. September des Vorjahres bestimmt und dieser Tag bei Inkrafttreten der Richtlinie schon vergangen war.

Die in einem Beschluss des Stadtrats vom Februar 2021 aufgestellte Vorgabe, nach der ein Träger in dem jeweiligen "Stadtgebiet" – hier Chemnitz Süd-Ost – verwurzelt sein muss und nicht zugleich Träger einer anderen Bürgerplattform sein darf, sind – so das Verwaltungsgericht – ebenfalls erfüllt. Die große Mehrheit der Mitglieder des Trägervereins wohnt in Chemnitz Süd-Ost bzw. ist dort anderweitig aktiv. Der Trägerverein kooperiert auch nicht mit einer anderen Bürgerplattform.

Eine besondere Dringlichkeit liegt vor, da die Bürgerplattform Chemnitz Süd-Ost mangels Anerkennung ihres Trägers bisher keine Zahlungen hat und ihr für die vorgesehenen Aktivitäten keine eigenen Mittel zur Verfügung stehen.

Das Gericht hat vorsorglich auch für die kommenden Jahre herausgestellt, dass der Stadtrat nicht über den Träger einer Bürgerplattform bestimmen kann, weil diese nach der Hauptsatzung von der Kommunalverwaltung – und damit auch vom Stadtrat – unabhängig arbeiten darf.    

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Antragsgegnerin steht die Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht zu.

(Verwaltungsgericht Chemnitz, Beschluss vom 22. Februar 2022 – 5 L 536/21)

Peter Franke
Pressesprecher

 

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