4. Epoche 1950 - 1990
Ab 16. Februar 1950 wurde das Lager an die dem Ministerium des Innern unterstellte Deutsche Volkspolizei als Strafvollzugsanstalt übergeben. Zuvor wurde eine unbekannte Anzahl von Internierten, die noch nicht vor den sowjetischen Militärtribunalen (SMT) gestanden hatten, und SMT-Verurteilte entlassen. Arbeitsfähige Internierte wurden in die Sowjetunion transportiert, um dort Zwangsarbeit zu verrichten. Ca. 300 Internierte wurden in die Strafvollzugsanstalt Waldheim gebracht. Dort fanden im selben Jahr die berüchtigten Waldheimer Kriegsverbrecherprozesse gegen 3.432 Internierte der drei ehemaligen Speziallager statt. Es erfolgten Todesurteile oder Freiheitsstrafen zwischen 15 und 25 Jahren.
In Bautzen blieben 5.900 männliche SMT-Verurteilte im Wesentlichen mit Freiheitsentzug über die 15 Jahre zurück; fast alle wurden bis Juli 1956 entlassen. Bis dahin starben 3.086 SMT-Verurteilte aufgrund langanhaltender Unter- und Mangelernährung sowie fehlender Medikamente und Behandlungsmöglichkeiten. Über die beiden Hungerdemonstrationen am 13. Und 31. März 1950 schrieben Gefangene Berichte. Den aus der Anstalt geschmuggelten zweiten Bericht verlas Herbert Wehner am 23. Mai 1950 auf dem Parteitag der SPD in Hamburg. Für die SPD erinnerte Bautzen an den Widerstand gegen die Zwangsvereinigung zur SED.
In der DDR wurde von Beginn an das Sowjetisch-Stalinistische Herrschaftssystem gegen alle Widerstände durchgesetzt. Das betraf selbstverständlich auch das Gefängniswesen, welches schnellstmöglich zentralisiert, militarisiert und von der Polizei unterstellt worden ist. Demzufolge bildeten sich in der DDR drei unterschiedliche Haftsysteme heraus. Unabhängig von den Gefängnissen, welche dem Ministerium des Innern (MdI) unterstellt waren, gab es 17 Haftanstalten, die das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verantwortete und in eigener Zuständigkeit betrieb. Weiterhin existierte die durch die Nationale Volksarmee (NVA) unterhaltene Militärstrafarrestabteilung in Schwedt/Oder (bis 1983 Strafvollzug, ab 1983 als Disziplinarabteilung der NVA- Dienststelle Schwedt/Oder) sowie mehrere kleine Untersuchungs- und Arrestabteilungen der NVA. Das letztere Haftsystem ist objektiv nicht mehr darstellbar. Alle Unterlagen sind unauffindbar und die dort ehemals tätigen Militär-Bediensteten verweigern alle Auskünfte.
In den nachfolgenden Ausführungen wird ausschließlich das Gefängniswesen des MdI-Strafvollzuges dargestellt.
Die Epoche des DDR-Strafvollzuges wird aus heutiger Sicht in drei Zeitabschnitte eingeteilt.
Das betrifft im Einzelnen die Zeitabschnitte:
- 1945 bis 1952
- 1953 bis 30. Juni 1968
- Juli 1968 bis 04. Oktober 1990
Am 05. Mai 1977 wird das zweite Gesetz zum Vollzug der Haftstrafen in Kraft gesetzt, das „Strafvollzugsgesetz“.
Die Bestimmungen des Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetzes aus dem Jahr 1968 sind gleichzeitig außer Kraft getreten. In den vom MdI geführten „Gefängnissen“ waren am 20. November 1983 39.150 Personen inhaftiert und am 20. Oktober 1989 betraf dies 31.150 Personen. Die StVE, JH und UHA unterteilten sich zusätzlich in unterschiedliche Kategorien. Der Kategorie I waren große Anstalten, in die Kategorie II die mittleren Anstalten zugeordnet worden und die Kategorie III umfasste die kleineren Strafvollzugs- und Untersuchungshaftanstalten. Bis zum Jahr 1975 gab es auch noch die STVE und die UHA der Kategorie IV. Die Gefängnisse des MdI-Strafvollzuges waren streng hierarchisch geführte Einrichtungen mit militärischer Grundausrichtung, sowohl gegenüber Gefangenen, als auch gegenüber dem Personal.
Es gab insgesamt 83 Gefängnisse mit unterschiedlichen Zweckbestimmungen und stark voneinander abweichenden Haftplätzen. Daraus ergab sich eine maximale Belegungsfähigkeit von 38.526 Gefangenen.
Diese Zahl war jedoch eine theoretische Größe. Das belegen nachfolgende Zahlen:
Im Jahr 1955 betrug die durchschnittliche Anzahl der Gefangenen 42.000, im Dezember 1973 42.716, im Dezember 1974 48.005 (historischer Höchststand), im Oktober 1988 18.575 und im Juli 1990 4.171 Strafgefangene und 1.750 Untersuchungsgefangene. Diese starken Schwankungen hängen mit Amnestien in der DDR zusammen, so am
03. Oktober 1972 25.351 Entlassungen bzw. am 17. Juli 1987 24.586 Entlassungen. Es gab eine Vielzahl mehr an Amnestien als hier aufgezählt.
Für die Einstellung zur Dienstverrichtung des Strafvollzuges in der DDR war die Systemtreue oberstes Gebot.
Ab dem 01. Januar 1949 gab es einheitliche Dienstgradbezeichnung und Abzeichen, welche in den Anstalten Gültigkeit besaßen.
- VP-Anwärter
- VP-Unterwachtmeister
- VP-Wachtmeister
- VP-Oberwachtmeister
- VP-Hauptwachtmeister
- VP-Meister
- Offizierschüler
- VP-Unterkommissar
- VP-Kommissar
- VP-Oberkommissar
- VP-Rat
- VP-Oberrat
- VP-Kommandeur
- VP-Inspekteur
- Chefinspekteur der VP
- Generalinspekteur der VP
- Chef der Deutschen Volkspolizei
Diese Dienstgrade galten für die Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei bis Ende des Jahres 1954. Alle nachfolgenden Dienstbezeichnungen für den Strafvollzug behielten bis zum Ende der DDR den ihnen innewohnenden militärischen Charakter.
Erhellend ist ein Blick auf die geforderten Voraussetzungen an den Polizisten, um im Aufsichtsdienst unmittelbar mit den Gefangenen arbeiten zu können. Der Forderungskatalog beinhaltete:
- Erfolgreicher Abschluss einer 8-klassigen Volks- bzw. Grundschule mit der Note „befriedigend“ oder höher bzw. den Besuch einer Abend- oder Volkshochschule, in der er sich das allgemeine Grundwissen angeeignet hat.
- Ein Lebensalter von mindestens 21 Jahren, um eine gewisse Lebenserfahrung zu besitzen.
- Gute charakterliche und moralische Eigenschaften.
- Erfolgreicher Abschluss eines Lehrganges für den Aufsichtsdienst an der ZSV Radebeul mit der Note „befriedigend“ oder höher und zu dem Zusatzprädikat „geeignet für den Aufsichtsdienst“.
- Mindestens einjährige Dienstzeit in einem anderen Fachgebiet des SV, z.B. im Wachdienst des Strafvollzuges.
- Gutes Allgemeinwissen und geistige Beweglichkeit, pädagogische Eignung, feste Verbundenheit mit der staatlichen Entwicklung.
- Die körperliche Beschaffenheit muss so sein, dass ärztlicherseits keine Einwände bestehen.
- Mitglied oder Kandidat der Partei bzw. einer Massenorganisation wie FDJ oder DFD mit aktiver Betätigung.
Im ersten Schulungsheft der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, Hauptabteilung Strafvollzug vom August 1952, sind die Aufgaben des Strafvollzuges der DDR deutlich definiert:
„Der Strafvollzug in der Deutschen Demokratischen Republik ist eine Einrichtung unseres demokratischen Staates, der den Sozialismus planmäßig aufbaut. Es ist die Funktion des Strafvollzuges, die Strafurteile der Gerichte unseres demokratischen Staates, die zu Freiheitsentziehung, Gefängnis- und Zuchthausstrafe verurteilen, zur Vollstreckung zu bringen. Der Strafvollzug hat die Ziele, die sich unser Staat mit seiner Strafjustiz stellt, zu verwirklichen. Es ist also eine große bedeutsame Aufgabe, die unser Staat den Organen des Strafvollzuges auferlegt und jeder, der im Strafvollzug arbeitet, muss sich dieser Aufgabe bewusst sein, um sie richtig erfüllen zu können. Es muss betont werden, dass unser Strafvollzug einer Einrichtung unseres Staates ist und, dass er die Aufgaben zu erfüllen hat, die er sich mit seiner Strafjustiz stellt; das heißt, dass unser Strafvollzug nicht außerhalb der politischen Zielsetzung unseres Staates steht, sondern mit dieser auf das engste verbunden ist. Unsere Strafjustiz dient der Sicherung und Festigung der volksdemokratischen Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung. Unsere Gerichte haben die Funktion, diese Ordnung von ihren Feinden zu schützen und diejenigen, die sich in dieselbe nicht einfügen und unsere Gesetze verletzen, zur Ordnung zu rufen und sie durch die Zwangsgewalt des Staates zur staatlichen und Arbeitsdisziplin anzuhalten. Unsere Gerichte haben damit eine große Erziehungsaufgabe.“
Daran hat sich bis zum Ende der DDR nichts geändert.
Das Leben der Gefangenen war durch ständige Überwachung der Geheimdienste gekennzeichnet. Auf der einen Seite durch das Ministerium der Staatssicherheit, Hauptabteilung VII, durch direkte Einflussnahme der Offiziere des MfS sowie durch Unterhaltung eines umfangreichen Bespitzelungsnetzes, sowohl bei den Bediensteten, als auch bei den Gefangenen. Aufgabe dieser Linie VII war die Überwachung aller Gefangenen, insbesondere der politischen Gefangenen, die Gewinnung Informeller Mitarbeiter (IM) unter den Gefangenen, Gewinnung von IMs unter den Bediensteten und Betriebsangehörigen. Weitestgehend unbekannt ist, dass auch Gefangene als IM gewonnen worden, die nach der Entlassung aus dem Strafvollzug über Freikauf in die damalige alte BRD geschleust worden sind und dort für das MFS arbeiteten.
Des Weiteren sind Gefangene auch zur Überwachung des Personals rekrutiert worden.
Eine weitere Aufgabe des MfS in den Haftanstalten war die enge Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei, Arbeitsrichtung K I /4. Diese politische Abteilung der Kriminalpolizei hatte unter anderem die Aufgaben, Entweichungen zu verhindern, Angriffe auf die Staatsgrenze zu unterbinden, Nahrungsverweigerungen und Arbeitsverweigerungen der Insassen zu verhindern, Redelsführer herauszufinden und insbesondere ab 1980 die wirksame Zurückdrängung von Versuchen Strafgefangener zur Erreichung der Übersiedlung in das nichtsozialistische Ausland, umfassende Aufklärung der Anlässe und Beweggründe sowie Herausarbeitung der Initiatoren. Der Öffentlichkeit ist bis heute nicht bekannt, dass diese Kriminalpolizeiabteilung ein weiteres Bespitzelungsnetz unter den Gefangenen unterhielt. Diese Kriminalisten hatten die ständige Aufgabe der Werbung des Einsatzes und der Abschöpfung von:
- ASG = Auskunftbereiter Strafgefangener
- IKMR = Inoffizieller kriminalpolizeilicher Mitarbeiter aus dem Kreis der Rechtsbrecher, Asozialen, Rückfälligen und kriminell gefährdeten Personen
- IKM = Inoffizieller kriminalpolizeilicher Mitarbeiter
- IKMS = IKM zur Lösung von konspirativen Spezialaufgaben
- IKMO = IKM für inoffizielle Aufgaben
- IKMA = IKM für besondere Aufgabenstellungen
- Strafgefangene, Betriebsangehörige, Zivilbeschäftigte, Angehörige der medizinischen Betreuung Strafgefangener (auch: Auswahl von „Kandidaten“ unter den Gefangenen, welche für Aufgaben im „Feindgebiet“ vorgesehen werden können)
Ergänzung Verfasser: Mit „Feindgebiet“ war die alte BRD gemeint.
Das im vorab Gesagte gilt im vollen Umfang für die damalige StVE Bautzen I.
Im Alltag des hiesigen DDR-Strafvollzuges wurde die Disziplin und Ordnung überbetont. Die Gefangenen wurden nach streng militärisch hierarchischen Regeln behandelt. Erschwert wurde das Leben der Gefangenen auch dadurch, dass in Berlin in der Verwaltung Strafvollzug im Ministerium des Innern entschieden wurde, Bautzen als Gefängnis des Allgemeinen Vollzuges zu führen. Diese Entscheidung hatte unmittelbare Auswirkung auf die Gefangenen.
Entsprechend dem gemäßen zentralen Vollstreckungsplanes kamen nach Bautzen mehrfach Vorbestrafte und Gefangene, die sich im Strafvollzug gegen das System wehrten. Daher wurde das Haus II innerhalb der Anstalt als „Besonderes Kommando“, „Besondere Abteilung“ und als Arreststation missbraucht. Dort unterlagen die Gefangenen besonderer Destruktionen. Weiterhin war der Strafvollzug in Bautzen durch das Diktat der Ökonomie bestimmt. Einerseits hatten die Gefangenen alle eine Beschäftigung, andererseits wurde auf besondere Fähigkeiten, Berufsabschlüsse oder sonstige Abschlüsse keine Rücksicht genommen. Arbeitsverweigerungen wurden mit Arrest bestraft. Die Bautzener Anstalt gehörte der Kategorie I an und damit zu den wichtigsten Gefängnissen innerhalb der Sicherheitsstrukturen der DDR. Der Leiter der Strafvollzugseinrichtung konnte den Dienstgrad Oberst erreichen. Die Anstalt war für die Belegung von 1.450 Gefangenen vorgesehen. Am 25. März 1952 waren hier 6.379 Menschen eingesperrt.
Am 25. November 1953 betrug die Zahl der Gefangenen 5.319. Am 01. März 1984
2.461 Strafgefangene. Am 01. Oktober 1989 befanden sich hier 2.106 Verurteilte. In den Tagen der Oktoberereignisse 1989 kamen noch einmal 615 Personen hinzu.
Die Strafvollzugseinrichtung Bautzen I hatte ursprünglich 435 Planstellen. Diese Zahl konnte jedoch nie erreicht werden, weil einerseits die Bereitschaft der Bürger für den Dienst im Strafvollzug nicht vorhanden war bzw. die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt werden konnten. Das führte zu regelmäßigen Herabsetzungen der Planstellen.
So waren es im Jahr 1989 nur noch 396 Stellen, davon 98 Offiziere, 256 Wachtmeister und 42 Zivilbeschäftigte. Das führte letztendlich zu einem reinen Verwahrvollzug der Gefangenen. Mehrfachbelegungen in den Hafträumen (zu unterschiedlichen Zeiten bis zu 24, 16 oder 8 Gefangenen). Einzelhafträume waren eine große Seltenheit. Die zahlreich vorhandenen Berichte ehemals Betroffener widerspiegeln eindrucksvoll das Empfinden der damals eingesperrten Menschen.
Revolution hinter Gittern
Die Proteste der Bürger im Oktober 1989 hatten durch die Bildung von Zuführungspunkten durch die Polizei in Dresden unmittelbare Auswirkung auf diese Anstalt. Im Endeffekt wurden 615 Demonstranten der StVE Bautzen ohne Inhaftierungsgrundlage zugeführt. Es kam zu Übergriffen durch das Personal. Der Protest aus der Mitte der Gesellschaft wurde in die Anstalt getragen. Seitdem ebbten die Streiks der Gefangenen hier nicht mehr ab.
Die Gefangenen erkämpften sich am 06. Dezember 1989 eine Amnestie, in deren Folge im Februar 1990 15.586 Personen aus dem DDR-Strafvollzug entlassen worden sind. Die Bautzener Anstalt war ein Zentrum der Gefangenproteste.
Die Forderungen der Gefangenen waren folgende:
- Generalamnestie,
- Prüfung von Strafakten/Gerichtsurteilen,
- Gespräche mit Vertretern der Öffentlichkeit, Medien, Kirche, Ministerium der Justiz und des Ministeriums des Innern,
- Bestrafung ehemaliger Parteifunktionäre,
- Verbesserung der Haftbedingungen und Verpflegung.
Während der Gefangenenproteste kam es mehrfach zu lebensgefährlichen Situationen für die Gefangenen, Bediensteten und der Bevölkerung. Nur durch die Bildung einer Bürgerinitiative und die Ermöglichung des Zuganges zu den Gefangenen ist es gelungen, diese Zeit für alle Beteiligten, ohne Schwerverletzte oder sogar Todesfälle, zu überstehen.
Die Gefangenen erkämpften sich erneut eine Amnestie über einen teilweise Straferlass am 28. September 1990. An diesem Tag fand die 37. und damit letzte Volkskammertagung der DDR statt.Nach 14 Stunden Diskussion wurde von der Volkskammer dann die letzte Amnestie erlassen.Ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit, was zum damaligen Zeitpunkt gegen alle Befehle und Weisungen verstoßen hatte, wäre dieses „Wunder“ von Bautzen nicht möglich gewesen. Ab dem 03. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung Deutschlands, konnte dann in Bautzen auch der Weg zum rechtsstaatlichen Justizvollzug gegangen werden.