22.12.2021

"Transparenz gehört zur Demokratie"

Justizministerin Katja Meier
© Marlén Mieth

Wofür Sachsen ein Transparenzgesetz braucht und weswegen der Freistaat damit aus dem Stand zum Vorreiter würde - Justiz- und Demokratieministerin Katja Meier im Interview.

Frau Meier, wofür brauchen wir ein Transparenzgesetz?

Wir beobachten seit längerer Zeit einen Vertrauensverlust von Teilen der Bevölkerung in unser Gemeinwesen, unseren Staat: Menschen gehen auf die Straße, um gegen Maßnahmen zu demonstrieren, deren Entstehung und Sinnhaftigkeit sie nicht mehr nachvollziehen können oder wollen. Manche fühlen sich nicht gehört, nicht gesehen, haben das Gefühl, an ihnen wird vorbei regiert. Das stimmt natürlich nicht. Wir hören zu, wir schauen hin und machen berechtigte Anliegen zur Grundlage unserer Entscheidungen, wobei wir uns von Verschwörungstheorien oder rechten Schreihälsen nicht beirren lassen sollten. Wir befinden uns in einem Spannungsfeld von Wünschen und Notwendigkeiten. Die Arbeit der Regierung und der Verwaltung transparent zu machen, den Menschen Einblick und Wissen zu vermitteln, ist in unseren Augen ein wesentliches Element, um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates zu erhalten. Transparenz gehört zur Demokratie und bedeutet auch, dass der Staat, dass die Verwaltung für ihr Handeln verantwortlich ist, und zwar am Ende dem Volk, den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Man kann aber vor den Bürgerinnen und Bürgern nichts verantworten, wovon sie keine Kenntnis erlangen können. Das ist mir auch deswegen so wichtig, weil unsere Demokratie nicht direktdemokratisch geprägt ist, sondern dem Leitbild der repräsentativen Demokratie folgt. Je weniger Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich aktiv in demokratische Prozesse einzubringen, umso transparenter müssen diese Prozesse sein.

Wie steht Sachsen hier im Ländervergleich da?

Schlecht. Sachsen hat noch nicht einmal ein sogenanntes Informationsfreiheitsgesetz, also ein Gesetz, das den Bürgerinnen und Bürgern einen Anspruch darauf gibt, dass konkrete Fragen zur Tätigkeit des Staates beantwortet werden. Ein solches Gesetz haben der Bund und die meisten anderen Bundesländer seit vielen Jahren. Die Ausnahmen sind außer uns nur Bayern und Niedersachsen. Allerdings haben auch drei Länder ihre Informationsfreiheitsgesetze schon zu Transparenzgesetzen weiterentwickelt, also zu Gesetzen, die den Staat verpflichten, bestimmte Informationen nicht nur auf Antrag zur Verfügung zu stellen, sondern aktiv zu veröffentlichen. Und auch in Sachsen liegt nun ein Transparenzgesetz vor. Nach der Diskussion und dem Beschluss im Sächsischen Landtag würde Sachsen einen weiten Sprung nach vorn machen und zugleich auch eine Blaupause liefern für ein Transparenzgesetz des Bundes.

Für wen soll das Gesetz gelten?

Das Gesetz soll grundsätzlich für die Staatsregierung und für die gesamte Verwaltung des Freistaates gelten, außerdem für weite Teile der sogenannten mittelbaren Staatsverwaltung, also für die Selbstverwaltung der freien Berufe, zum Beispiel Rechtsanwaltskammer, Notarkammer oder auch die Industrie- und Handelskammer und so weiter, soweit sie öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen.

Gilt das Gesetz auch für Gemeinden?

Noch nicht. In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns darauf verständigt, dass das Gesetz zunächst nicht die Kommunen zur Transparenz verpflichten soll, sondern dass darüber nach einer Übergangsphase neu entschieden wird. Aber: Das Gesetz soll den Gemeinden eine Möglichkeit eröffnen, sich zur Transparenz und Informationsfreiheit zu bekennen und das Gesetz anzuwenden. Und ich glaube, dass die Gemeinden von dieser Option auch Gebrauch machen wollen.

Gilt das Gesetz auch für Abgeordnete – Stichwort Maskendeals?

Das vorrangige Interesse an den Maskendeals galt nicht allein der Frage, zu welchen Bedingungen der Staat Masken beschafft hat. Dass die Öffentlichkeit ein berechtigtes Informationsbedürfnis gezeigt hat, lag an etwas Anderem. Nämlich daran, dass einzelne Abgeordnete teilweise exorbitante Provisionen für die Vermittlung solcher Verträge erhalten haben. Ähnlich verhält es sich, wenn bestimmte Interessengruppe Einfluss auf Abgeordnete nehmen – all das, was wir üblicherweise unter dem Schlagwort „Lobbyismus“ zusammenfassen. Unmittelbar kann unser Gesetzentwurf daran nichts ändern. Die Transparenz des Abgeordnetenhandelns ist Sache der Parlamente selbst. Allerdings kann unser Gesetzentwurf dazu beitragen, dass solche Vorgänge hinterfragt werden. Wenn der Staat über sein Handeln transparent informieren muss, erlangt die Öffentlichkeit überhaupt erst Kenntnis von Vorgängen. Also beim Beispiel der Maskendeals: Als die Öffentlichkeit von den Beschaffungsverträgen der Ministerien erfuhr, wollte sie mehr darüber erfahren, wie diese Verträge zustande gekommen waren.

Das heißt, nach dem Gesetz sind solche Verträge zu veröffentlichen?

Unser Entwurf sieht eine Vielzahl von Informationen vor, die zu veröffentlichen sind. Hierzu zählen etwa Subventionen oder auch beauftragte Gutachten. Daneben wollen wir aber auch bestimmte Verträge des Staates veröffentlichen, an denen ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Letztlich geht es auch hier darum, offenzulegen, wie der Staat agiert und wie Steuergelder eingesetzt werden.

Welche Informationen sollen denn veröffentlicht werden?

Das wird im Gesetz abschließend geregelt. Wir haben einen Katalog zusammengestellt, von dem wir annehmen, dass er das Informationsinteresse der Bürgerinnen und Bürger widerspiegelt. Zum Beispiel sollen veröffentlicht werden: Regierungsbeschlüsse, Gesetzentwürfe, bestimmte Verträge, die der Freistaat abschließt, Berichte und Gutachten, Informationen über Unternehmensbeteiligungen des Freistaates, eine Übersicht von Subventionen durch den Freistaat. Im Ergebnis wollen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber im Bild bleiben, wie der Freistaat ihr Geld, also die Steuergelder, verwendet.

Wie werden Sicherheitsbelange berücksichtigt?

Natürlich können nicht alle Informationen veröffentlicht werden. Das ist ganz klar. Dort, wo die Veröffentlichung zu einer Gefährdung der Sicherheit führen würde, muss sie unterbleiben. Das ist im Gesetz auch so geregelt.

Gibt es darüber hinaus Informationen, die nicht zugänglich gemacht werden?

Unser Entwurf verfolgt den Ansatz, möglichst weitgehend und umfassend Informationen bereitzustellen. Im Grundsatz sind daher Informationen stets soweit zur Verfügung zu stellen, wie keine anderen Schutzgüter beeinträchtigt werden. Neben Gefahren für die öffentliche Sicherheit können aber auch andere Rechtsgüter schutzbedürftig sein. Der Entwurf sieht daher einen abschließenden Katalog mit Ausnahmen vor. Darunter fallen beispielsweise sensible Daten, etwa in Abgabeverfahren oder solche mit Personenbezug. Daneben muss auch die Funktionsfähigkeit der sächsischen Verwaltung erhalten bleiben, weshalb ein Kernbereich ihrer Eigenverantwortung ebenso wie bloß vorbereitende Maßnahmen geschützt werden.

Wer überwacht die Anwendung des Gesetzes?

Wir wollen eine Beauftragte beziehungsweise einen Beauftragten damit betrauen. Diese Aufgabe soll die Datenschutzbeauftragte mit übernehmen. So ist es auch in den anderen Bundesländern üblich. Zudem steht den Beteiligten natürlich der im Verwaltungsrecht übliche Rechtsschutz durch Widerspruch und Klage zur Verfügung.

Der Koalitionsvertrag sieht die Schaffung eines solchen Gesetzes schon im Jahr 2020 vor. Wieso dauerte es so lange?

Eine sehr gute Frage. Die Mühlen der Gesetzgebung mahlen ja nicht besonders schnell. Unser Ministerium hat aber bereits im Oktober vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich bis vor kurzem in der Abstimmung mit den anderen Ministerien befand. Da es sich um einen für Sachsen völlig neuen Ansatz handelt, waren viele, teilweise auch rechtlich sehr komplexe Einzelfragen abzustimmen. Und ich bin froh, dass uns dies nun gelungen ist.

Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Infolge der ersten Kabinettsbefassung im August 2021 haben wir circa 140 Stellen angehört und die Öffentlichkeit über das Beteiligungsportal des Freistaats beteiligt. Die insgesamt circa 50 Stellungnahmen hat das SMJusDEG ausgewertet. Dabei wurden etwa ebenso viele Stimmen laut, die den Ansatz der transparenten Verwaltung begrüßt haben, wie Stimmen, die Vorbehalte – vor allem im Hinblick auf die jeweils eigene Betroffenheit – geäußert haben. Der Gesetzentwurf ist nun eingebracht in den Sächsischen Landtag. Nach unseren Plänen soll es am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die vorgesehene Transparenzplattform soll spätestens am 1. Januar 2026 an den Start gehen.

Haben die Bürgerinnen und Bürger also spätestens ab 1. Januar 2023 Ansprüche nach dem Gesetz?

Nach unserem Entwurf haben die Bürgerinnen und Bürger dann bereits den Informationsanspruch auf Antrag. Das kann sich natürlich nach der Anhörung oder im Landtag noch ändern. Die Pflicht zur Veröffentlichung gilt nach unserem Entwurf spätestens drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes. Für die Veröffentlichung muss allerdings erst die notwendige IT-Infrastruktur geschaffen werden, insbesondere muss die Transparenzplattform entwickelt und umgesetzt werden.

Was soll das Gesetz kosten?

Bereits bei den Koalitionsverhandlungen war mir wichtig, dass die Inanspruchnahme von Transparenz die Bürgerinnen und Bürger in der Regel nichts kostet. Das ist auch so im Gesetzentwurf vorgesehen. Der Zugang zur Transparenzplattform soll generell kostenfrei möglich sein. Das gilt ebenso für die weit überwiegende Anzahl der zu erwartenden Anträge auf Information. Kosten entstehen für die Antragstellenden bloß bei sehr umfangreichen Anträgen, die einen Aufwand von 600 Euro übersteigen, und bei Anträgen gegenüber etwa den Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft und freien Berufe. Die Umsetzung des Gesetzes an sich wird natürlich Kosten für den Freistaat verursachen. Hauptsächlich liegen diese in der Schaffung der Transparenzplattform, da der Freistaat über so etwas bisher nicht verfügt. Hier rechnen wir mit etwa 2,7 Millionen Euro, allerdings verteilt auf die kommenden Jahre bis Ende 2025. Wir erwarten aber keine erheblichen Personalmehrkosten bei der praktischen Umsetzung des Gesetzes, da der Aufwand dort mit Umstrukturierungen aufgefangen werden kann.

Wird mit dem Gesetz nicht unnötig bürokratischer Aufwand erzeugt?

Zunächst erachte ich Aufwand für die Bereitstellung von Informationen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger als unbedingt notwendig. Das Gesetz soll das Vertrauen in die sächsische Verwaltung stärken, den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, wie die sächsische Verwaltung handelt und damit einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Teilhabe leisten. Allerdings erwarte ich keinen erheblichen Mehraufwand. Bereits jetzt werden Bürgeranfragen in aller Regel ausführlich beantwortet, sodass Informationen auf Antrag kaum ins Gewicht fallen sollten. Die Veröffentlichung auf der Transparenzplattform soll zudem weitestgehend automatisch erfolgen – im Zuge der alltäglichen Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach einer Eingewöhnungsphase wird die Bereitstellung von Informationen sicher reibungslos funktionieren.

Wozu muss eine eigene Plattform geschaffen werden?

Transparenz ist die Weiterentwicklung von Informationsfreiheit. Die Verwaltung soll proaktiv Informationen zur Verfügung stellen, unabhängig von Anträgen hierauf. Diese Informationen müssen in irgendeiner Form dargestellt und verfügbar gehalten werden. Hierzu bietet sich eine einfach zugängliche, kostenfreie und anonyme Plattform an, um möglichst keine Hürden bei der Informationsbeschaffung aufzustellen. Der Freistaat verfügt bisher über eine solche Plattform nicht. Wir sind in stetem Austausch, ob und inwieweit vorhandene Strukturen genutzt oder perspektivisch in die Plattform überführt werden können. Das haben wir auch als Gesichtspunkt im Gesetzentwurf festgehalten, der evaluiert werden soll. Übrigens verfügen alle Länder, in denen ebenfalls ein Transparenzgesetz gilt, über eine solche Plattform. Das Modell hat sich also bewährt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Meldung: Kabinett bringt Sächsisches Transparenzgesetz in den Landtag ein

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