05.03.2022

Grenzüberschreitend stark: Frauen für Europa – Europa für die Frauen

Die Sächsische Gleichstellungsministerin Katja Meier diskutiert im Plenarsaal des Sächsischen Landtags mit der polnischen Demokratie- und Frauenrechtlerin Marta Lempart (links) und der tschechischen Aktivistin Johanna Nejedlová (Mitte)
© SMJusDEG I Daniel Meißner

Vielfalt, Veränderung, Verständigung und Vernetzung – darum ging es heute beim trinationalen, parlamentarischen Empfang anlässlich des Weltfrauentages am 8. März des SMJusDEG im Sächsischen Landtag.

Im lichtdurchfluteten Plenarsaal folgten etwa 75 Gäste aus der Tschechischen Republik, aus Polen und Deutschland, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Diskussion. Die Veranstaltung rückte Handlungsmöglichkeiten in den Fokus und Grenzen der länderübergreifenden Zusammenarbeit, um Frauen und ihre Rechte in Europa zu stärken. Zusätzlich wurde der Festakt per Livestream sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache übertragen.

Vor Ort  war nach zwei Jahren Pandemie die Freude über den persönlichen Austausch groß – auch, oder gerade weil, die Themen dringend angegangen werden müssen. Die Redebeiträge und Grußworte thematisierten unter anderem Gewalt an Frauen in Tschechien, das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche und Ehe-Scheidung in Polen, die Überwindung wirtschaftlicher und sozialer Benachteiligung von Frauen und Mädchen in ganz Europa, die EU-Charta für Gleichberechtigung von Frauen und Männern und Möglichkeiten von Kooperationen im Gleichstellungsbereich innerhalb des Dreiländerecks.

Anteilnahme für die Ukraine

Hinzu kam die Bestürzung und das Entsetzen über die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Die Anteilnahme war bei diesem Festakt allgegenwärtig – sowohl bei den Gesprächen am Rande, als auch in den Redebeiträgen: „Auf europäischem Boden herrscht Krieg. Die Bilder, die uns täglich erreichen, verleihen dem Titel unserer heutigen Veranstaltung, ‚Grenzüberschreitend stark‘, eine zusätzliche Bedeutung,“ sagte Katja Meier, sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung. Schon vor dem russischen Angriff habe UN Women Deutschland gemahnt, dass Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark durch den Ukrainekonflikt betroffen seien: „Auch daran sollten wir denken, wenn wir uns heute fragen, wie wir ein ‚Europa für die Frauen‘ schaffen können“.

Eröffnet wurde der Festakt von Luise Neuhaus-Wartenberg. Die dritte Vizepräsidentin des Sächsischen Landtags betonte, dass der internationale Frauentag zum Weltfrieden mahne und beschwor die Bedeutung enger Beziehungen über Ländergrenzen hinaus: „Innerhalb Europas können die Länder untereinander noch viel lernen. Es gilt den Weg der Gleichstellung weiter zu beschreiten. Die EU bleibt in Bezug auf ihre Werte nur dann glaubwürdig, wenn auch die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern weiter abgebaut werden.“

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Evelyn Regner, wandte sich in einem engagierten Videogrußwort an das Publikum. Darin machte sie auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Europa aufmerksam und stellte fest: Die Coronakrise ist eine Frauenkrise. Regner appellierte, eingeschliffene Stereotype zu hinterfragen, auch im Privatbereich: „Es wird als natürliche Pflicht angesehen, dass Frauen informelle Betreuungsaufgaben übernehmen, während männliche Eltern dies nicht tun würden. Stereotypen und Klischees diktieren immer noch die Politik und die häuslichen Vereinbarungen und dies geschieht in fast jedem Haushalt – unabhängig von Einkommen oder sozialer Schicht – auch dann, wenn Frauen die Hauptverdienerinnen in einem Haushalt sind.“ Zustimmendes Nicken im Saal, während Regner weiter ausführt: „Obwohl die Beteiligung der Männer an der Betreuungsarbeit zugenommen hat, ist der Umfang der Betreuungsarbeit für Frauen noch stärker gestiegen.“ Evelyn Regner kritisiert Einkommensunterschiede und hebt die Bedeutung von Frauen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens hervor und fordert daher unter anderem,„dass mindestens die Hälfte der Haushaltsmittel ausdrücklich für Frauen verwendet wird und Frauen an der Entscheidungsfindung beteiligt werden.“

Mehr als 80 Gerichtsverfahren

Im Anschluss auf die europäische Perspektive richtete die Demokratie- und Frauenrechtlerin Marta Lempart den Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen in Polen. Zu Beginn ihrer Keynote sorgte sie mit ihrer Solidaritätsbekundung für ihr Nachbarland Ukraine für einen Gänsehautmoment. Anders als sie es sonst getan hätte, begrüßte sie die Anwesenden nicht mit „Dzień dobry“ (dt.: Guten Tag), sondern mit „Chwała Ukrainie“ – „Ruhm der Ukraine“. Dabei hielt sie eine ukrainische Flagge hoch und senkte ihr Haupt. Mit ruhiger, fester Stimme schilderte sie im Anschluss daran die Gesetzeslage in Polen, die selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche verbietet sowie welche Hindernisse Frauenrechtlerinnen wie ihr in Polen in den Weg gelegt werden. In ihrer Heimat ist Marta Lempart bekannt für ihren Einsatz für Gleichberechtigung und für Initiativen zur Legalisierung von selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen. Sie kämpft gegen die Diskriminierung von LGTBIQ-Personen und gegen die Legalisierung häuslicher Gewalt. Bei denen, die das konservative System stützen, macht sie sich damit unbeliebt: Mehr als 80 eingeleitete Gerichtsverfahren gegen sie und persönliche Bedrohung hindern sie jedoch nicht daran, ihre Arbeit fortzusetzen „Mich kann niemand bremsen!“ Lempart prangert mangelnde Rechtsstaatlichkeit in Polen an und betont die Bedeutung von Frauenrechten für die Demokratie. Als sie endet, stehen die Anwesenden auf und applaudieren. Der Musikalische Beitrag von Sängerin Karolin Petrova und dem Pianist Hans-Richard Ludewig verlieh den Worten Lemparts Nachdruck.

Via Liveschalte nahm Dr. Olga Richterová, Vizepräsidentin der tschechischen Abgeordnetenkammer, das Publikum dann gedanklich mit nach Tschechien und sprach über die Herausforderungen im Bereich der Frauenrechte in ihrem Land. Große Probleme hier:  Gewalt an Frauen, Kinderbetreuung und die damit verbundene Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Situation rund um die Geburtshilfe. Doch Richterová präsentierte auch das schon Erreichte – wie beispielsweise die von ihr initiierte Karenzzeit, die es tschechischen Vätern ermöglicht, 14 Tage nach der Geburt ihrer Kinder bei ihrer Familie zu bleiben. 

Aufklärung junger Menschen

Georg Teichert, der als zentraler Gleichstellungsbeauftragte der Universität Leipzig aufmerksam die Redebeiträge verfolgte, fand darin viel Inspirierendes: „Für mich war es eine sehr bewegende Veranstaltung. Gerade die Statements der Aktivistinnen aus Osteuropa, aus Polen und Tschechien haben einfach gezeigt, wie wichtig das Engagement für Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung im internationalen Kontext ist. Es ist auch noch mal sehr deutlich geworden, wie privilegiert wir hier sind. Wir müssen uns nicht vor Repressionen fürchten, wenn wir für Frauenrechte, für Gleichberechtigung, für queere Menschen auf die Straße gehen. Und gerade deshalb sollten wir uns viel mehr engagieren, sowohl vor Ort als auch über die Ländergrenzen hinweg.“

Weitere Denkanstöße zu Handlungsmöglichkeiten und länderübergreifenden Kooperationsmöglichkeiten im Gleichstellungsbereich vermittelte auch die Podiumsdiskussion. Hier kam Staatsministerin Meier mit den Frauenrechtsaktivistinnen Marta Lempart aus Polen und Johanna Nejedlová aus Tschechien ins Gespräch. Moderiert wurde die Diskussion von Lena Herlitzius.  Die tschechische Frauenrechtsaktivistin Johanna Nejedlová, Gewinnerin des "Women of Europe"-Preises und Mitbegründerin der Organisation "Konsent", die über Belästigung und sexuelle Gewalt aufklärt, setzt auf Bewusstseinsbildung. Besonders wichtig sei die Aufklärung junger Menschen über sexualisierte Gewalt und die Notwendigkeit, Stereotype hinter sich zu lassen: „Wir müssen uns auf Prävention fokussieren“ sagt sie und erhält dafür viel Applaus. Marta Lempart beschreibt die drei Säulen der Bewusstseinsarbeit, die sie in Polen für besonders wirksam hält: Proteste, Unterschriften und internationale Kooperationen. Die unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkte in den jeweiligen Ländern sorgten bei den Anwesenden später an Stehtischen für angeregte Gespräche, ebenso die von Staatsministerin Meier beworbene Förderrichtlinie Chancengleichheit, die auch grenzüberschreitende Kooperationen zivilgesellschaftlicher Initiativen möglich macht.

Frauenbewegung ist Demokratiebewegung

Der Ebenen übergreifende Dialog im Rahmen der Podiumsdiskussion wurde positiv aufgenommen und von Teilnehmerinnen wie Jessica Bock vom Landesfrauenrat Sachsen als richtungsweisend empfunden: „Ich nehme von der heutigen Veranstaltung mit, dass wir großartige, kämpferische, lebendige Frauenbewegungen in unseren Nachbarländern haben, also in Polen und in Tschechien, dass das kämpferische Frauen sind, mit denen wir noch mehr zusammenarbeiten sollten, als wir das jetzt eh schon tun“, so Jessica Bock vom Landesfrauenrat Sachsen. „Bewegungen wie zum Beispiel in Polen, zeigen uns, dass die Frauenbewegung immer auch Demokratiebewegung ist.“ 

Im Sinne der Völkerverständigung und Chancengleichheit wurde in Gebärdensprache gedolmetscht und eine Simultanübersetzung via Kopfhörer in Englisch, Polnisch und Deutsch angeboten. Auch Kinderbetreuung konnte vor Ort in Anspruch genommen werden. Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler hatte die Schirmherrschaft für den Festakt übernommen.

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